Offener Brief von Euro-Toques gegen Molekularküche

Es begann in Spanien (wir berichteten) und hat inzwischen ganz Europa erfasst: Der Streit über die Molekularküche eskaliert. Höhepunkt in Deutschland ist ein Artikel im Stern, den der Bochumer Gastro-Journalist Klaus Dahlbeck in seinem Blog scharf kritisiert

Im Folgenden dokumentieren wir einen „Offenen Brief“, den Euro-Toques Deutschland heute verschickt hat. Euro-Toques jedenfalls positioniert sich darin eindeutig und polemisch gegen die heiß diskutierte Koch-Avantgarde…

Offener Brief eines Botschafters der Eurotoques-Stiftung zum Thema „Molekularküche“ und „Molekular-Experimentalköche“

„Schöne Neue Welt …..“ ???

In seinem wohl bekanntesten dystopischen Roman – „Schöne Neue Welt“ (engl. Originaltitel „Brave New World“) der bereits 1932 erschienen ist, beschreibt Aldous Huxley eine Gesellschaft, in der „Stabilität, Frieden und Freiheit“ durch Konditionierung des Einzelnen, das Fehlen von tiefen Gefühlen und die Beschränkung von Religion und Kultur gewährleistet werden.

Mittel physischer Manipulationen des Fötus und anschließender Konditionierung werden alle Menschen auf eine festgelegte Rolle in der Gesellschaft genormt. Durch permanente Beschäftigung mit Sex, Konsum und der Droge Soma zufriedengestellt, verlieren die Menschen das Bedürfnis zum kritischen Denken und Hinterfragen der Weltordnung. Eine reibungslose Regierung der Welt wird für eine Handvoll „wohlwollender“ Kontrolleure möglich.

Genau in diese Richtung scheint die Molekularküche zu marschieren. Unter dem Vorwand des „reinen Geschmackserlebnis“ setzt man sich gnadenlos über die die Natürlichkeit der Lebensmittel hinweg. Was ihm vorgesetzt wird, muss der Gast «heraus schmecken. Das ist ein kulinarischer Spaß», so Böddicker. Manchmal hilft auch der Geruchssinn. Beispielsweise, wenn der bestellte Aal als Lutscher ankommt und nur am Duft erkennbar ist. Auf das Auge ist kein Verlass. Dank neuer Zubereitungsmethoden wandeln Molekularköche Rote Bete in hauchdünne Carpaccio-Scheiben und Hühnchenbrust zu Eis.

Bedenkenlos werden Lebensmittel in ihre chemischen Bestandteile zerlegt, wieder neu zusammengesetzt, mit div. Zuschlagstoffen Konsistenz und Aroma verändert und mit völlig neuen (fraglichen?) Methoden bearbeitet (z.B. Verwendung von flüssigem Stickstoff  – 147,1 C). Im Endprodukt findet sich zudem eine erhebliche Reihe kennzeichnungspflichtiger Zuschlagstoffe, über deren Auswirkung auf die Gesundheit z.T. noch keine endgültigen Aussagen gemacht werden können. Dem angeblichen  „Geschmackserlebnis“ wird so ziemlich alles geopfert, selbst gesundheitliche Bedenken.

Dass solche Köche auch noch mit Sternen ausgezeichnet werden ist doch sehr verwunderlich. Doch schwappt die Welle bereits auch in den Hobbybereich über. So bietet z.B. Amazon bereits eine stattliche Reihe von Kochbücher der molekularen Küche für den Hausgebrauch an.

Abschließend dazu noch ein Zitat aus einem Interview der FAZ mit Dietmar Hölscher (ehemaliger Hobbykoch, heute Inhaber von „Nova Kuirejo“, einem „Zentrum für Molekulare Küche“) vom 09.06.2008:

„…Zuerst tun wir was ganz Simples: Aus einem Billigbalsamico, der zwei Euro kostet, machen wir eine Balsamico-Creme, die besser schmeckt, als hätten wir einen zwanzig Jahre alten Balsamico verwendet.“ Dann greift er zu einem kleinen schwarzen Plastikeimer und schüttet beherzt ein weißes Pulver in den Balsamessig, der sich in einem Messbecher befindet. Anschließend fügt er noch Zucker hinzu und püriert das Ganze mit einem Stabmixer. Nebenbei erläutert er, dass bei einer Creme aus echtem alten Balsamico die Säure verschwunden sei. Er hingegen binde die Säure, damit sie drinnen bleibe.“

Es drängt sich einem unwillkürlich der Gedanke auf, dass dem Lebensmittelbetrug hier weitere Türen geöffnet werden sollen. Dazu nur ein Kommentar: Nein Danke.


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Kategorie Molekularküche

Chefredakteur Feinschmeckerblog. Viele Jahre als Reporter und Online-Redakteur mit Gastro & Hospitality gearbeitet. Liebt Fine Dining. Gastrotipp: Perú!

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